HCV-Entschädigung für Hämophile
18.07.2007
Gegendarstellung zum BMG
Juli 2007: Auszug aus dem Schreiben der DHG an:
- Präsident des Deutschen Bundestages
- Fraktionsvorsitzende aller im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien
- Mitglieder des Petitionsausschusses des Deutschen Bundestages
- Mitglieder des Ausschusses für Gesundheit
- Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung
- Behindertenbeauftragte der Bundesregierung
HCV-Entschädigung für Hämophile – Gegendarstellung zum BMG
Die Deutsche Hämophiliegesellschaft (DHG) als bundesweite Interessenvertretung ...
Im Folgenden wird die DHG anhand von sechs exemplarischen Beispielen aufzeigen, dass die Aussagen des BMG zur HCV-Problematik sachlich fehlerhaft und zum Teil falsch sind, was zwangsläufig dazu führen kann, dass Abgeordnete und der Petitionsausschuss es ablehnen, den Anspruch der Bluter auf Entschädigung anzuerkennen.
1. Argumentation des BMG
Die von der DHG unterstützte Klage mehrerer Hämophiler vor dem LG Berlin sei mit der Begründung abgewiesen worden, dass der Nachweis der Kausalität einer möglichen Amtspflichtverletzung des damaligen Bundesgesundheitsamtes und der Schädigung des Klägers fehle.
Gegendarstellung DHG
Das Gericht stellte fest: „ … Die Kammer vermag ohne weitere Aufklärung eine Amtspflichtverletzung der Beklagten weder festzustellen noch auszuschließen. Den im Sinne von § 839 BGB verantwortlichen Beamten der Beklagten könnte eine Amtspflichtverletzung vorzuwerfen sein, weil sie zuließen, dass Hochkonzentrate aus Blutkonserven hergestellt und in Deutschland vertrieben wurden, die die in der Bundesrepublik Deutschland an gespendetes Blut gestellten Anforderungen nicht erfüllten. … Die in den USA gewonnenen Blutspenden von bezahlten Spendern kamen hingegen oft aus Risikozentren mit relativ hoher Hepatitis-Durchseuchung und von Spendern aus US-Gefängnissen. Nach der wie oben ausgeführt auch Ende der siebziger Jahre vorhandenen Annahme über das Vorkommen der Hepatitis NANB als Posttransfusionshepatitis (PTH) musste deshalb jedenfalls damit gerechnet werden, dass eine Gefährdung der Empfänger durch Verwendung dieser Blutspenden, zumal in large pools, stieg. … Die Beklagte hätte auch eine Grundlage gehabt, in die Praxis der Verwendung US-amerikanischer unsicherer Blutplasmaspenden einzugreifen. Dazu hätte sie in den USA nicht hoheitlich tätig zu werden brauchen. Die auf den inkriminierten Spenden basierenden Präparate wurden in Deutschland in Verkehr gebracht. Beruhte die Arzneimittelgefährlichkeit auf ihnen, hätte das BGA gegenüber den die Arzneimittel in Verkehr bringenden Pharmaunternehmen in vielfältiger Weise eingreifen können. Den am deutschen Markt agierenden Pharmaunternehmen gegenüber stand das gesamte Instrumentarium des AMG zur Verfügung. … “
In der Urteilsbegründung führt das Gericht überwiegend formale Gründe an, die für seine ablehnende Entscheidung ausschlaggebend waren. Im Wesentlichen handelt es sich um den § 839 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), wonach der Kläger seine Ansprüche zuvor anderweitig vergebens geltend gemacht haben muss, bevor er seinen Amtshaftungs-anspruch gegenüber der Bundesrepublik Deutschland geltend machen kann.
Dies bedeutet, dass nach Ansicht des Gerichtes sowohl die Pharmaunternehmen für die von ihren Produkten ausgehenden Gefahren als auch die Ärzte für die von ihnen vorgenommene Behandlung zu verantworten haben. Geschädigte müssten also zunächst gegen Hersteller und/oder Behandler klagen, bevor sie ihre Ansprüche gegenüber der Bundesrepublik Deutschland geltend machen können.
Diese Begründung mag zwar aus juristischer Sicht stichhaltig sein, für die Betroffenen ist es jedoch nahezu unmöglich, das Präparat, den Hersteller und/oder den Behandler zu benennen, welche ursächlich für ihre HCV-Infektion verantwortlich sind. Zur fraglichen Zeit erhielten die Patienten von ständig wechselndem Personal Präparate unterschiedlicher Hersteller, die alle geeignet waren, die Infektion hervorzurufen.
Bedingt durch die hohen juristischen Hürden und die schwer zu kalkulierenden prozessualen Risiken, einschließlich der kaum absehbaren enormen finanziellen Belastungen (allein die Klage vor dem Landgericht hat die DHG ca. 70.000 € gekostet), war der DHG der weitere Rechtsweg versperrt.
2. Argumentation des BMG
Auszug aus dem Antwortschreiben des Petitionsausschusses: „ … Vorab ist klarzustellen, dass es die wissenschaftlichen Erkenntnisse in den 1980er Jahren nicht zuließen, Blutprodukte virussicher zu machen. Dies bedeutet, dass das Risiko einer HCV-Übertragung hingenommen werden musste. Erst Ende der 1980er Jahre wurde das Hepatitis C-Virus identifiziert und Anfang der 1990er Jahre die Anti-Hepatitis C-Testung obligatorisch gemacht. In der Zeit davor war die Übertragung von Hepatitis C regelmäßig leider ein tragisches, unvermeidbares Ereignis. … “
Gegendarstellung DHG
Der ehemalige Vorsitzende des 3. Untersuchungsausschusses des 12. Deutschen Bundestages „HIV-Infektionen durch Blut und Blutprodukte“, Herr Dr. Gerhard Scheu, stellt in seinem Gutachten „Deliktische Produktverantwortung für Hepatitis C-Infektionen
hämophiler Patienten“, erschienen 1999 Nomos Verlagsgesellschaft Baden-Baden, fest: … „Seit 1978 kam das pasteurisierte Behring-Produkt zur Anwendung im Rahmen von klinischen Studien, an denen die meisten großen deutschen Hämophiliezentren beteiligt waren. Die Erfahrungen mit dem Präparat, mit dem bis 1980 bereits 44 Patienten, darunter zwölf mit Langzeitbeobachtung, behandelt worden waren, waren außerordentlich ermutigend. ….“ (siehe Seite 35)
… „In dem 1980 veröffentlichten Bericht stellten N. Heimburger et al. neben dem Ausbleiben von Nebenwirkungen (HNANB, HBV, Hemmkörper) auch fest, dass bei einigen Kindern, die bereits einen schweren Leberschaden aufwiesen, mit dem Behring-HS eine Besserung eingetreten war. …“ (siehe Seite 35)
… „Kann man ein Virus, dessen „Existenz“ sicher ist, noch nicht isolieren, so sind Aussagen über Sicherheit von „100%“ nicht zu belegen, und erst das für die Anzucht des Virus geeignetste biologische System Mensch wird endgültige Bestätigung erbringen. Soweit es jedoch darauf ankam, Präparate so sicher zu machen, wie sie 1981 überhaupt nur HNANB-sicher gemacht werden konnten, war es höchst plausibel, dass das ß-PL/UV-Verfahren (Faktor IX/PPSB) und die Behring-Nasserhitzung (Faktor VIII) die Voraussetzungen am
ehesten erfüllen würden. Die Wirkungsweise war theoretisch und praktisch belegt, die Ergebnisse waren außerordentlich ermutigend. …“ (siehe Seite 39)
… „In den USA hat Dr. Edward Shambron, ein Wissenschaftler, der die Faktor VIII-Hochkonzentrate mitentwickelt hatte, bereits 1977 ein der späteren SD- (Solvent/Detergent) Methode ähnliches Verfahren entwickelt, um dass Risiko der Hepatitis-Übertragung zu eliminieren. …“ (siehe Seite 49)
Zusammenfassend stellt sich der Sachverhalt folgendermaßen dar: Es gab seit 1976 ein virussicheres Produkt der deutschen Firma Biotest, welches bei der Gruppe der Hämophiliepatienten Typ B (ca. 20 % der Betroffenen) hätte angewandt werden können. (Bei diesem Produkt wurden in 13 Jahren Anwendung im Zeitraum von 1976 bis 1990 keine Infektionen mit Hepatitis- bzw. HI-Viren bekannt. 1990 kam es aufgrund einer technischen Panne einmalig bei einer Charge zu viralen Verunreinigungen, welche bei acht Patienten zu HIV-Infektionen führte.) Spätestens seit 1981 war das Produkt der deutschen Firma Behring Haemate® frei zugängig und verfügbar, welches für die Behandlung von Hämophilen Typ A geeignet (ca. 80 % der Betroffenen) ist.
Ausdrücklich sei auch darauf verwiesen, dass die Hämophilen in der ehemaligen DDR noch bis 1990 ausschließlich mit nicht virusinaktivierten Präparaten behandelt wurden (siehe Punkt 6).
3. Argumentation des BMG
Die Kosten einer Staatlichen Entschädigung würden laut Mitteilung des BMG voraussichtlich mehrere Hundert Millionen (500) € betragen.
Gegendarstellung DHG
Die DHG orientiert sich als mögliches Beispiel für eine Entschädigungsregelung an der in Großbritannien getroffenen Regelung, wonach alle infizierten Bluter eine einmalige Entschädigung von ca. 30.000 € erhalten. Kommt es zu Komplikationen, wie Leberzirrhose oder Leberkarzinom, so erhalten die Betroffenen eine weitere Einmalzahlung in Höhe von ca. 37.500 €. In Großbritannien haben ca. 2500 Hämophile sowie ca.1500 Personen, welche durch Blutprodukte infiziert wurden, diese Leistung erhalten.
Die vom BMG gehegte Befürchtung, dass, wenn es zu einer Regelung für durch kontaminierte Gerinnungsprodukte HCV-infizierte Hämophile kommt, dies zu Forderungen von Hunderttausenden durch Blut HCV-infizierte Patienten führt, hat sich in Großbritannien nicht bewahrheitet. Wir gehen deshalb davon aus, dass für die Bundesrepublik nur geringfügig höhere Zahlen an Antragstellern als in Großbritannien zu erwarten wären.
4. Argumentation des BMG
Eine Entschädigungsregelung des Bundes kann es nur geben, wenn staatliche Rechts- oder Prüfaufsichten verletzt wurden. Laut Stellungnahme des BMG trifft die Bundesrepublik Deutschland keine Verpflichtung, eine humanitäre Hilfe für die betroffenen Personengruppen zu ermöglichen. Dies werde durch Gerichtsentscheidungen bestätigt.
Gegendarstellung DHG
Die Bundesregierung hat bereits in der Vergangenheit Entschädigungsregelungen ohne das Vorliegen von verpflichtenden Gerichtsurteilen und ohne Anerkennung einer Rechtspflicht auf den Weg gebracht, so zum Beispiel 1995 das HIV-Hilfegesetz für die ca. 1500 HIV-infizierten Hämophilen.
Aufgrund der Tatsache, dass die HIV-Infektionen und die HCV-Infektionen auf der selben Ursache beruhen, nämlich der mangelnden Virussicherheit der Präparate, verursacht durch schwerwiegende Versäumnisse und Nachlässigkeiten der Aufsichtsbehörden bei der Bekämpfung der Hepatitisgefahren, ist nicht nachvollziehbar, warum die Bundesregierung bisher der betroffenen Personengruppe eine humanitäre Hilfe verweigert.
In diesem Zusammenhang protestiert die DHG auf das Entschiedenste gegen die in einigen Schreiben enthaltende indirekte Drohung, dass sich die Forderungen nach einer Entschädigungsregelung für HCV-infizierte Hämophile negativ auf die Fortführung der Stiftung „Humanitäre Hilfe für durch Blutprodukte HIV-infizierte Personen“ auswirken könnten. Es ist zutiefst menschenverachtend, wenn durch das BMG bzw. durch Politiker der Versuch unternommen wird, die durch verseuchte Gerinnungsprodukte mit unterschiedlichen Viren Infizierten gegeneinander auszuspielen.
5. Argumentation des BMG
Unter dem Abschnitt Vergleichbarkeit der Betroffenheit der Patientengruppen wird ausgeführt, „ … Gleichwohl lässt sich unschwer erkennen, dass die Situation HCV-infizierter Personen generell anders zu bewerten ist als die von HIV-Infizierten. Wenn ihnen auch keine besondere finanzielle Hilfe des Staates zuteil werden kann, so hilft ihnen jedoch in Deutschland das hohe Niveau der sozialen Sicherung bei der Bewältigung der Lebenssituation. Das betrifft nicht nur Kosten der Krankenbehandlung und die Sicherung im Alter, sondern auch die Hilfen, die gewährt werden, wenn ein Betroffener arbeitslos wird (Arbeitslosenhilfe) oder unverschuldet in Armut gerät (Sozialhilfe). …“
Gegendarstellung DHG
Der Verfasser dieser Stellungnahme hat offensichtlich jegliche Sicht für die Realität und die tatsächliche Lebenswirklichkeit von Betroffenen, die mit den finanziellen Leistungen (Erwerbsminderungsrente, Arbeitslosengeld II bzw. Sozialhilfe) ihren Lebensunterhalt bestreiten müssen, verloren.
Es mutet zynisch und infam an, wenn Patienten, die unverschuldet als Folge eines Medizinskandals einen schweren gesundheitlichen Schaden davongetragen haben, der in vielen Fällen unweigerlich zum Tode führen wird und sehr wohl in seinen Auswirkungen mit einer HIV-Infektion vergleichbar ist, als finanzielle Entschädigung auf das „hohe“ Niveau der sozialen Sicherungssysteme durch das BMG verwiesen werden.
6. Argumentation des BMG
Unter dem Abschnitt Vergleichbarkeit der Betroffenheit der Patientengruppen wird ausgeführt „ … Das Schicksal der generell durch Blutprodukte HCV-infizierten Personen lässt sich nicht mit dem ... der Anti-D-Immunprophylaxe HCV-infizierten Personen vergleichen. Die Anti-D-geschädigten Frauen der DDR sind Opfer einer Straftat geworden, weil den Herstellern des zur Anti-D-Prophylaxe verwendeten Immunglobulins bekannt war, dass das Produkt infiziert sein könnte. …“
Gegendarstellung DHG
Seit Ende der 60er Jahre erfolgte die Behandlung der Bluter in der DDR mit aus Blutplasma hergestellten Präparaten. Diese wurden bis zum Frühjahr 1990 ausschließlich durch das staatlich organisierte, kontrollierte und verwaltete Blutspende- und Transfusionswesen der DDR, vertreten durch die Bezirksblutspendeinstitute, hergestellt und an Hämophilie-Behandlungszentren und klinische Einrichtungen geliefert. Bis zur Auflösung des Blutspende- und Transfusionswesens der DDR kamen trotz entsprechendem medizinischem Erkenntnisstand, der auch in der DDR zweifelsfrei vorhanden war, keinerlei Inaktivierungsverfahren zur Eliminierung von eventuell vorhandenen Viren (z.B. HIV, Hepatitis B und C) in den Gerinnungspräparaten zur Anwendung.
Aufgrund der politischen Situation in der DDR wurde das Risiko stillschweigend von den mit der Herstellung betrauten Bezirksinstituten für Blutspende- und Transfusionswesen sowie von den klinischen Anwendern hingenommen. Das staatliche Gesundheitswesen der DDR war gleichzeitig als Gesetzgeber für die Zulassung und Produktion von Gerinnungspräparaten sowie für Überwachung und Kontrolle der Präparatesicherheit verantwortlich. Eine unabhängige Kontroll- und Überwachungsinstanz gab es nicht.
Die o.g. Tatsachen sowie Gutachten und Stellungnahmen, ebenso das Urteil sind dem BMG seit langem bekannt.
Die Art und Weise des Umganges mit den von der DHG dem zuständigen Fachreferat im BMG vorgelegten Unterlagen und die falsche oder verzerrte Wiedergabe der Fakten lässt nur eine Schlussfolgerung zu – sie dient offensichtlich dem Zweck, die Forderungen der DHG für eine gerechte Entschädigung der Opfer dieses Medizinskandals zu diskreditieren und abzuwiegeln.
Die Todesursachenstatistik bei Hämophilen in Deutschland zeigt einerseits das tatsächliche erschreckende Ausmaß der Folgen der HCV-Infektion, – Haupttodesursache ist die HCV- Infektion mit ihren Spätfolgen (Leberzirrhose bzw. hepatozelluläres Karzinom) und andererseits, dass dringender Handlungsbedarf besteht.
Angesichts der Tatsache, dass entsprechende Entschädigungsvereinbarungen in den letzten Jahren in vielen europäischen Ländern, wie Frankreich, Ungarn, Irland, Italien, Spanien, Norwegen, Schweden und Großbritannien getroffen wurden, ist es mehr als unverständlich, dass sich die Bundesregierung bisher beharrlich weigert, einen Anspruch der Hämophilen in Deutschland auf Entschädigung anzuerkennen, zumal die Ausgangslage insbesondere in den o.g. europäischen Staaten nahezu identisch ist.
Wir bitten Sie deshalb eindringlich, Ihren Standpunkt – nicht zuletzt auch aufgrund der zum Teil sachlich fehlerhaften und falschen Aussagen des BMG zur HCV-Problematik – einer kritischen Prüfung zu unterziehen und Ihren Einfluss für die Gewährung einer bundesweiten einheitlichen dem schweren gesundheitlichen Schaden angemessenen Entschädigungsleistung für alle betroffenen Hämophilen geltend zu machen.
Auch wenn das Leid der Betroffenen niemals mit finanziellen Mitteln gutgemacht werden kann, darf dies nicht als Vorwand dienen, den Opfern humanitäre Leistungen zu versagen.
Im Übrigen setzt eine humanitäre (wohltätige/menschenfreundliche) Hilfe keine Verpflichtung, sondern ein Entgegenkommen voraus. Es geht der DHG nicht um eine Verschuldungshaftung – auch wenn vieles darauf hindeutet –, sondern um eine Hilfe für Personen, die unverschuldet in diese belastende Lage geraten sind.
(Unterzeichnet durch den Vorsitzenden der DHG)