Eine unendliche Geschichte
28.11.2007
Frank Spieth, Mitglied des Deutschen Bundestages und gesundheitspolitischer Sprecher der Linksfraktion hat am 10. Oktober 2007 in der Fachzeitschrift "Gesellschaftspolitische Kommentare" nachfolgenden Artikel (verkürzte Version) veröffentlicht. Der vollständige Text erscheint in den Hämophilie-Blättern 1/2008.
Eine unendliche Geschichte – Teil 2
Opfer eines Medikamentenskandals kämpfen seit Jahren vergeblich um eine Entschädigung
Bluter sind angewiesen auf Medikamente, die sogenannten Faktorenkonzentrate. Seit 1968 gab es diese aus Blutspenden gewonnenen Arzneimittel auf dem Markt. Die Herstellung dieser Faktorenkonzentrate war der wichtigste Schritt hin zu einer höheren Lebenserwartung für Bluter, die heute nahezu die des Bevölkerungsdurchschnitts erreicht.
Man stellte jedoch, wie Sie vielleicht wissen, auch bald ein Problem bei diesen neuartigen Medikamenten fest: Da sie aus Blut gewonnen wurden und zur Herstellung Blutspenden verschiedener Personen zusammen verarbeitet werden mussten, bargen sie auch ein erhebliches Infektionsrisiko. Dies galt u.a. auch für Hepatitis A- und Hepatitis B-Viren (HAV und HBV), allerdings auch für die damals Hepatitis Non-A Non-B genannte Hepatitis C-Infektion. Da die Medikamente regelmäßig verabreicht werden mussten, erkrankten im Laufe der Jahre viele Patienten daran. Anfang der 1980er Jahre kam auch HIV/AIDS als weitere Infektionsgefahr hinzu.
Ein Test, den das Bundesgesundheitsamt (BGA) aus Sicherheitsgründen seit 1976 für Blutprodukte vorgeschrieben hatte (der ALT-Test), war in den USA, woher 90% der Produkte stammten, nicht vorgeschrieben. Dafür wurden dort bis 1985 auch Spender aus Risikogruppen zugelassen. Eine risikomindernde Auswahl der Blutspender gab es in vielen Fällen nicht. Auf dieser Grundlage hätte in Deutschland keine Blutspende durchgeführt werden dürfen.
Man hat wegen der Infektionsgefahr in den Jahren 1977/1978 erfolgreich Verfahren zur Inaktivierung der Viren entwickelt. Diese Inaktivierung zerstört unspezifisch alle Viren, sei es HCV oder HIV. Das erste Verfahren wurde 1981 zugelassen unter der Auflage, bis zur Ausräumung von Zweifeln bezüglich Nebenwirkungen nur bei einer kleinen Patientenkohorte angewendet zu werden.
Nach dem Bericht des entsprechenden Untersuchungsausschusses des Bundestages hätten seit Ende 1982 diese Zweifel ausgeräumt sein müssen. Ab diesem Zeitpunkt hat einer flächendeckenden Anwendung prinzipiell nichts mehr im Weg gestanden. Es vergingen jedoch noch einige Jahre – bis 1987 – als die letzten Krankenhäuser auf die virusinaktivierten Produkte umstellten.
Es kommen also viele Unstimmigkeiten zusammen. Klar scheint mir zu sein, dass Anfang und Mitte der 1980er-Jahre noch viele Bluter – obwohl nach dem medizinischen Stand nicht mehr notwendig – die nicht-virusinaktivierten Präparate verabreicht bekamen und sich dadurch mit HIV/AIDS, mit HCV und mit anderen Krankheiten ansteckten.
Weder die Pharmahersteller, noch die Politik, noch die Verwaltung, noch die behandelnden Ärzte und Krankenhäuser haben offenbar die Notwendigkeit gesehen oder wollten sie nicht sehen, die nicht-virusinaktivierten Medikamente vom Markt zu nehmen und nur noch sichere Blutprodukte zu verabreichen.
Deshalb beschloss der Bundestag nach eingehender Beratung im Jahr 1995 das HIV-Hilfegesetz. Nach diesem Gesetz erhalten diejenigen, die durch Blut und Blutprodukte mit HIV infiziert wurden, eine Entschädigung. Für die mit HCV Infizierten wurde jedoch keine Entschädigungsregelung geschaffen. Als Grund gab man an, dass HIV eine ernsthaftere Krankheit sei und in jedem Fall zum Tode führt, während HCV heilbar sei.
Heute ist der Stand der Wissenschaft der, dass, selbst wenn es gelingt, die HCV-Konzentration im Blut chronisch HCV-Infizierter unter die Nachweisgrenze zu drücken, dennoch die Gesundheit des Betroffenen nicht besser sein muss als zuvor. HCV befällt auch andere Organsysteme als die Leber und kann viele Erscheinungsbilder haben bis hin zu Depression und chronischen Erschöpfungszuständen. Es ist keineswegs von einer folgenarmen Erkrankung auszugehen.
In vielen anderen Staaten gab den gleichen Skandal. Im Ausland werden die Opfer jedoch mittlerweile entschädigt – z.B. in Großbritannien, Italien, Irland, Österreich, Spanien, Schweden, Ungarn, zuletzt in Neuseeland und Kanada. Die Bundesregierung greift derweil nach jedem argumentativen Strohhalm. Sie behauptet gegenüber dem Gesundheitsausschuss allen Ernstes, dass die gute Gesundheitsversorgung in Deutschland und die niedrigen Zuzahlungen ein Grund wären, keine Entschädigung zu zahlen.
Zu all diesen Fragen habe ich Mitte Oktober 2007 eine Kleine Anfrage an die Bundesregierung gestellt. Die Antwort liegt mittlerweile vor (Bundestagsdrucksache 16/6934). Vor kurzem gab es hierzu nicht zuletzt auf meine Initiative und die der DHG hin ein Gespräch von Abgeordneten aller Fraktionen im Bundesgesundheitsministerium. in dem Gespräch versprachen die Koalition und der Staatssekretär, diese Themen erneut zu prüfen. Ich hoffe auf Ergebnisse, fürchte aber, dass die Koalition die Betroffenen erneut enttäuschen wird.
Ich finde, es wäre für die Bundesrepublik – auch jenseits der Überlegungen um die Frage der Staatshaftung – angebracht, aus humanitären Gründen eine entsprechende Regelung einzuführen.